Michael Busch: Kompendium Arbeitsmedizin
mit ausgewählten Prüfungsfragen aus Facharztgesprächen

Leseprobe

Stress (Eustress, Disstress)

- Auszug -  

Vorbemerkungen:
Ungezählte Kriege, drohende und erlebte Wetterkatastrophen, die Erfahrungen des Ausgeliefertseins gegenüber Krankheiten, besonders den Infektionskrankheiten mit ihrer hohen Sterblichkeit, hohe Arbeitsleistung, auch Armut und das Fehlen jeder Versicherungsmöglichkeit, haben in der in feudale und ständische Abhängigkeit eingezwängten bäuerlich geprägten vorindustriellen Gesellschaft nicht vermocht jenes Maß an empfundenem Stress zu produzieren, welches heute in einer vielfach gesättigten Welt die Menschen belastet. An dieser Stelle sind nur Gründe dafür zu diskutieren, die aus dem Arbeitsleben resultieren oder mit diesem zusammenhängen. So sind gerade in der modernen Zeit s
tressbedingte Erkrankungen das zweithäufigste berufliche Gesundheitsproblem. Und im Gegensatz zur landläufigen Meinung handelt es sich hier nicht um eine Krankheit der Manager, die interessante, emotional und intellektuell befriedigende Aufgaben vorfinden, sondern um eine Krankheit derer, die auf Entscheidungen anderer angewiesen sind und nur in geringem Maß ihr Leben selbst beeinflussen können. Sowohl betriebswirtschaftlich durch Fehlzeiten und innere Kündigung als auch volkswirtschaftlich durch Frühberentungen entstehen Kosten von vielen Milliarden Euro.

Definition:
Der 1907 in Wien geborene Arzt Hans Selye war der Vater des Strain-Konzepts, welches von außen wirkende Reize (Stressoren) auf ein biologisches System und dessen Reaktion darauf beschreibt. Das Wort Stress steht für diese Reaktion. Die ILO definierte im Jahr 2000 folgendermaßen: Arbeitsbedingter Stress liegt immer dann vor, wenn die Anforderungen die individuellen Bewältigungsmöglichkeiten überschreiten.

Eustress und Disstress:
Stress ist zunächst positiv, da ein gewisses Maß an Anspannung für unser persönliches Wohlergehen unerlässlich ist (Eustress). Die individuelle Belastbarkeit ist jedoch sehr unterschiedlich und stark subjektiven Bedingungen unterworfen. Können die Belastungen nicht mehr kompensiert werden (Disstress), kommt es zu Symptomen der Über- oder auch Unterforderung.

Stressoren:
Alle inneren und äußeren Anforderungen. Diese werden vom Organismus in positive und negative Reize eingeteilt. Negative Stressoren sind Situationen, die als unangenehm und/oder bedrohlich erlebt werden. Besonders starke negative Stressoren sind Enttäuschungen, Versagensängste, Unsicherheiten in der Beurteilung einer Situation und Unterforderung.

Eine allgemeine Einteilung ist möglich in folgende Stressoren: physikalische (Lärm, Hitze, schlechtes Licht), leistungsbedingte (Zeitdruck, zu viel oder zu wenig Verantwortung, Überforderung, Unterforderung, Monotonie) und soziale (Konflikte mit Kollegen/Vorgesetzten, fehlende Anerkennung, Gefühl des Ausgeliefertseins, Probleme in der Partnerschaft und der Familie, beengte Wohnverhältnisse).